Der Nürnberger Prozess

Internationaler Militärgerichtshof

 

Nachdem ich im Vorjahr meine Wehrmachtsuniform ausgezogen und an den Nagel gehängt hatte, stelle ich mir jetzt im Jahr 1946 tausende Fragen, wie wohl eine Zukunft unseres Volkes aussehen könnte. Und ich wage kaum zu hoffen, dass meine persönliche Zukunft viel Anlass zu Freude und Glück bringen würde. Umso mehr ergreife ich jede Gelegenheit, mir anhand des spärlichen Angebots an Zeitschriften und Sonderdrucken ein Bild zu verschaffen, welche Chancen uns von der Militärregierung der Alliierten eingeräumt werden. Ich denke da immer noch an den während der Kriegszeit verkündeten Morgenthauplan, der Deutschland das Recht absprach, als Industrienation zu existieren und der ein Grund für die erbitterten Abwehrkämpfe der Deutschen Wehrmacht in den letzten Kriegsmonaten war. (Siehe Themenseite „Herbst 1944, die Feuertaufe“.)

Aber die Siegermächte beginnen erst einmal mit der Anklageerhebung gegen die Größen des Dritten Reiches und die von ihnen vertretenen Organisationen.



Wo ist Heinrich Himmler?

Unter den Größen des Dritten Reiches gab es einen, den in meinem persönlichen Umfeld, ob zu Hause oder bei der Fallschirmjägertruppe, niemand leiden konnte. Ich finde ihn nicht unter den vom internationalen Militärgerichtshof angeklagten Personen.

In der Redaktion einer im Aufbau befindlichen Tageszeitung erfahre ich, Himmler habe sich der Verantwortung durch Selbstmord entzogen. Man hatte ihm in den letzten Kriegswirren den Oberbefehl über die Heeresgruppe Weichsel übertragen. Hier bewies er, dass er zwar als brutaler Massenmörder, nicht aber als verantwortlicher Befehlshaber taugte. Als unter seiner Führung die Front in diesem Bereich kläglich zusammenbrach, versteckte er sich in einem SS-Lazarett. Dann versuchte er, mit den Westalliierten einen Separatfrieden abzuschließen. Als Hitler Ende April 1945 hiervon erfuhr, wurde Himmler aller Ämter enthoben. Irgendwann geriet er in britische Gefangenschaft, wurde aber erst am 23. Mai 1945 als der gesuchte brutale Gründer und Führer der SS entdeckt. Daraufhin nahm er sich das Leben.

Ich stelle mal wieder fest, dass Brutalität und Feigheit auch hier, wie so oft, in Personalunion auftreten.

Mein Interesse an einer Begründung

Da die Verbrechen, die im deutschen Namen begangen wurden, im später bekannten Umfang mir und vielen anderen Deutschen jetzt im Jahre 1946 noch ziemlich fremd sind, glaube ich immer noch an einen ehrenwerten Kampf, den wir nun einmal mit vielen eigenen Opfern geführt und verloren haben. Als ich nun von dem bevorstehenden Nürnberger Prozess erfahre, will ich unbedingt wissen, wie er von den Siegermächten begründet wird. Denn Angriffskriege sind in der Geschichte immer schon geführt worden, aber Prozesse dieser Art kenne ich nicht. Wurde denn ein Prozess gegen Preußen eröffnet, als es grundlos die drei Schlesischen Kriege vom Zaun brach und Schlesien im wahrsten Sinne des Wortes raubte? Nein!

Also kaufe ich mir schleunigst den Text der auf schlechtem Papier gedruckten  „Grundlegenden Rede“  des Hauptanklagevertreters der USA, Herrn Robert H. Jackson.



Mit Zorn und Scham

Nachdem ich zuerst nur zögerlich bereit war, die Worte von Herrn Jackson zu akzeptieren, musste ich beim weiten Lesen immer mehr feststellen, dass seine Rede das Meisterwerk einer von tiefer ethischer Gesinnung getragenen Beredsamkeit ist, wie es der um ein angemessenes Vorwort bemühte Heidelberger Professor Dr. Franz Schnabel ausdrückt.

Jackson hebt ausdrücklich hervor, dass dieser Gerichtshof ein- und erstmalig ist. Für mich persönlich wird überzeugend klar: Hier richtet nicht ein mächtiger Sieger über einen am     Boden kauernden zitternden Besiegten, sondern hier wird die Be- und Verurteilung von Schuldigen von den mächtigen Siegern auf ein Gericht im Sinne der klassischen angelsächsischen Kultur übertragen. Nach dieser Erkenntnis bin ich imstande, die Schwere der unverzeihlichen Verbrechen zu erkennen und die Notwendigkeit ihrer Aburteilung zu akzeptieren. Das ist ein schmerzhafter Prozess für einen ehemaligen Frontsoldaten.

Im Vorwort wird von Herrn Professor Schnabel  erwähnt, dass man kein anderes Zeitalter, auch nicht das neronische, von dem Tacitus berichtet, und auch nicht das von Cesare Borgia, was  Gemeinheit, Entartung und Missbrauch der Macht anbelangt, mit den hier abzuurteilenden Gräuel  vergleichen kann.



Festklammern am Glauben an die „gerechte Sache“                   

In diesem Zusammenhang erwähne ich nochmals eine an anderer Stelle erzählte Geschichte:

Eine Dame vom Büro der Heizungsfirma, bei der ich zeitweise auf dem Technischen Büro arbeite, besorgt mir einen „Englischlehrer“, einen durch grausame Kriegsverletzungen früh zum Krüppel gewordenen ehemaligen Frontoffizier. Er, der einmal ein stattlicher junger Mann war, sieht nur noch einen Sinn im Weiterleben, indem er weiter an die hehren Ziele unseres Krieges und die „gerechte Sache“ glaubt, für die er seinen Opfergang geleistet hat. Obwohl unsere Weltanschauungen weit auseinanderklaffen, versage ich es mir, dies auch nur andeutungsweise zu erwähnen. Es würde, so glaube ich, sein letztes Fünkchen Lebenswillen zum Erlöschen bringen. Dieser verdammte Krieg;  was hat er nicht alles zerstört! Es hat sie ja gegeben, die verführten, bis zur Selbstzerstörung kämpfenden Gutgläubigen, die sich nicht ohne Grund für Helden hielten und von der damaligen allgemeinen Volksmeinung auch für solche gehalten wurden. Es war ja in Zeitungen und Büchern, selbst in unseren Schulbüchern, zu lesen: „Blüh Deutschland überm Grabe mein, jung stark und schön, als Heldenhain“.  Nach meiner letzten Englischstunde berichtet er aus seiner Sicht von der „Schande“ des Nürnberger Prozesses, wo die Siegermächte über die Größen des Dritten Reiches zu Gericht sitzen und er schüttelt voll Trauer und Unverständnis mit dem Kopf.

Einige Wochen später wird er durch den Tod von seinen körperlichen und seelischen Schmerzen erlöst.



Schlussbetrachtung (im Jahre 2011)

Am liebsten möchte ich den gesamten Inhalt der "Grundlegenden Rede" von Robert H. Jackson als Dokument der damaligen Zeit  kopieren und den Medienvertretern und Juristen unserer Zeit zur Kenntnis bringen. Sie würden erstaunt bemerken, dass heute manche Anklagepunkte im Sinne der Pressefreiheit nicht zur Anwendung kämen und (z.B.) Julius Streicher, den Herausgeber des Hetzblattes "Der Stürmer", der in Nürnberg als Schreibtischtäter angeklagt und hingerichtet wurde, im Sinne dieser Pressefreiheit ungeschoren davonkäme. Aber vielleicht würde der eine oder andere bei unvoreingenommenem Nachdenken ahnen, dass gerade das gesprochene oder geschriebene Wort wie eine Waffe wirken und geeignet sein kann, eine ganze Generation fehlzuleiten.

Täglich wurde uns Schulkindern die Hetze gegen unsere jüdischen Mitbürger vor Augen geführt.

Unserer Schönauer Volksschule gegenüber hatte ein SA-Mann an einem Tor einen Schaukasten aufgehängt, in dem stets die neueste Ausgabe der von Julius Streicher herausgegebenen Hetzschrift "Der Stürmer" ausgestellt war.

Einmal las ich: "Juda verrecke!" und erzählte dies erschüttert zu Hause meinen Eltern. Vater sagte darauf, eine solche Hetze und Ausdrucksweise sei eines Kulturvolkes unwürdig.

Albert Einstein

Wenn man dieses Bild von Albert Einstein, einem in Ulm geborenen jüdischen Wissenschaftler, neben die obige Stürmerfratze stellt, wird einem das Ungeheuerliche der NS-Hetze bewusst. Man bedenke: Albert Einstein, ein theoretischer Physiker, dessen Relaivitätstheorie(n) das Verständnis von Raum und Zeit revolutionierte(n), hatte bereits im November 1922 den Nobelpreis für Physik für das Jahr 1921 erhalten. Wie konnte bei einem solchen Wissen der Rassenwahn in Deutschland danach Fuß fassen? Neid?

Als die Generationen herangewachsen waren, die das Dritte Reich und seine Verführungskünste nicht mehr erlebt hatten, versuchte ein Herr Rolf Hochhuth

in einem Theaterstück "Der Stellvertreter" dem damaligen Papst Pius XII. eine

Mitschuld am Holocaust wegen unterlassener Verurteilung der Naziverbrechen unterzuschieben. Ohne Kommentar zeige ich hier einen kleinen Ausschnitt aus

der Rede von Robert H. Jackson.

Der evangelische Pastor und Theologe

Dietrich Bonhoeffer

wurde von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Flossenburg ermordet.

Ein Denkmal mit Gedenktafel befindet sich in Bonhoeffers Geburtsort Breslau.

Diese Aufnahme mache ich am 07. Juni 2011 in Breslau. Der Text auf der Gedenktafel erinnert mich an den Begriff "Bekennende Kirche", der mir bereits während meiner Schulzeit zu Ohren kam. Es war eine Widerstandsbewegung innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands.

In der "Grundlegenden Rede" führt Robert H. Jackson hierzu u.a. aus:

"Im Juni 1941 gab Martin Bormann einen Geheimerlass heraus über das Verhältnis von Christentum und Nationalsozialismus. In diesem Erlass heißt es:

Alle Einflüsse, die die durch den Führer mit Hilfe der NSDAP ausgeübte Volksführung beeinträchtuigen oder gar schädigen könnten, müssen ausgeschaltet werden. Immer mehr muss das Volk den Kirchen und ihren Organen, den Pfarrern, entwunden werden. (Usw.)

Dietrich Bonhoeffer

Nur 50 % Gerechtigkeit

Da in Nürnberg nur die Kriegsverbrecher der Besiegten abgeurteilt wurden, sprach ich im Hinblick auf die ungesühnten Bombenopfer in Deutschlands zerstörten Städten und im Hinblick auf die zahlreichen ungesühnten Vergewaltigungsopfer und Verschleppungen ohne Wiederkehr im Osten, von nur 50 % Gerechtigkeit.

Was mich besonders bedrückt

Zu den nicht geahndeten Verbrechen auf Seiten der Kriegsgegner Deutschlands zählt

auch der Mordaufruf des sowjetischen Schriftstellers Ilja Ehrenburg. Sicherlich betroffen durch die deutschen Verbrechen im Osten (Ausrottung der Juden) schrieb er in einem an der Front verteilten Flugblatt u.a.:

"Die Deutschen sind keine Menschen. .....Wir werden nicht reden. Wir werden uns nicht empören. Wir werden töten. Wenn du im Laufe eines Tages einen Deutschen nicht getötet hast, ist dein Tag verloren." Usw.

Und dieser Mann wurde nach dem Krieg in Deutschland von einer Anna Seghers geehrt und später wurde in Rostock eine Straße nach ihm benannt. Derartige geistige Verwerfungen entstehen meist, wenn anstelle des Enzelmenschen als Ebenbild Gottes ein Klassenbegriff oder, wie bei den Nationalsozialisten, ein Rassenbegriff, gesetzt wird. Schaut den Beherrschern der Medien auf die schreibenden oder tippenden Finger!