Man schreibt das Jahr 1927

Im Eifeldorf Schönau im Tal der oberen Erft reiben sich die Leute an diesem nebligen 05. November 1927 schläfrig die Augen, als man in der engen Dorfstraße über die hier übliche Mund-zu-Mund- Nachrichtenübermittlung erfährt, im Övvigdörp (Oberdorf) sei im Haus der Familie Weber ein Junge zur Welt gekommen. Und nun kommt „dat dollste“. Die Oma des Jungen, eine eifrige Leserin von Ganghofers Alpenromanen, besteht darauf, den Neugeborenen Veri zu nennen. *) Veri taucht in einem dieser Ganghoferromane auf. Es ist die in Bayern gebräuchliche Abkürzung für Xaverius, dessen Namenspatron der Heilige Franziskus Xaverius ist (siehe Namenstage: 03. Dezember). Das wird natürlich heftig diskutiert: Das Mittelstück eines Namens als amtliche Eintragung, so, als ob man für Lampenschirm einfach Pensch sagen würde. Das macht doch kein Mensch! Oder?

Aber wenigstens eine Neuigkeit an diesem trüben Herbsttag! Dabei war dieses langsam zu Ende gehende Jahr voller interessanter Ereignisse gewesen, die man beim Lesen der in Köln gedruckten Tageszeitung oder des wöchentlich erscheinenden Liboriusblattes zwar mit Interesse, aber doch mit der kleinbäuerlichen Gelassenheit der Eifeler Bergbauern verdaut hatte. Und hier sind diese Ereignisse:

Am 21. Mai landet ein amerikanischer Postflieger namens Charles A. Lindbergh mit seiner „Spirit of St. Louis“, einem Eindecker, auf dem Flughafen Le Bourget bei Paris nach einem Nonstop-Alleinflug von New York aus und wird von einer jubelnden Menschenmenge empfangen. Amerika und Europa rücken nach dieser Pionierleistung enger zusammen.

Bereits am 06. Juni glückt ein zweiter Flug, diesmal von New York nach Eisleben in Deutschland und mit dem Pilot Clarence Chamberlin und einem Begleiter namens Charles Levine an Bord.

Am 01. Juni fährt erstmals ein Zug über den soeben fertig gestellten Eisenbahndamm, den so genannten Hindenburgdamm, vom Festland zur Insel Sylt.

Am 19. Juni wird in der Hocheifel, also nicht weit von Schönau entfernt, eine moderne Autorennstrecke, der Nürburgring, eröffnet.

Big Bang

Der Begründer der Urknalltheorie (Big Bang) und Errechner des Alters unseres Universums (13,7 Milliarden Jahre) Abbé Georges Edouard Lemaître aus Belgien veröffentlicht in den Annales de la Société scientifique de Bruxelles erstmalig diese Big-Bang-Theorie, die wesentlich auf der beobachteten Expansion des Weltalls beruht. Siehe auch die Themenseite "Am Ende des Zweiten Jahrtausends".

Bereits am 23.  Februar hatte Albert Einstein in Berlin den Vortrag "Theoretisches und Experimentelles zur Frage der Entstehung des Lichts" gehalten. Er erläuterte u.a., dass die Doppelnatur des Lichts- einerseits Welle, andererseits Korpuskel- nicht zureichend erklärt werden könne. Schon im Jahr 1921 hatte Einstein den Nobelpreis für Arbeiten zur Theorie des Lichts erhalten.

Der am diesem 05. November in Schönau bei Münstereifel geborene Junge kommt also in eine Welt voller interessanter Ereignisse.  

Und im Bereich des Amtes Münstereifel, zu welchem Schönau gehört, sind mindestens zwei Ereignisse zu vermelden. Oberhalb von Mahlberg, also etwa 2 km östlich von Schönau steht auf einer 588 m hohen Basaltkuppe die Michelskapelle. Hier findet im Jahr 1927 eine würdige 600-Jahr-Feier statt. Das Bürgermeisteramt Münstereifel wird im selben Jahr in die Ämter Münstereifel Stadt und Münstereifel Land geteilt.

Was das Wetter anbelangt, so wird der August 1927 als der regenreichste August "aller Zeiten" in weiten Teilen Europas bezeichnet. Da kann man verstehen, dass der Veri erst im November das Licht der Welt erblicken wollte. Mit "aller Zeiten" kann er zwar nicht viel anfangen, weil er nicht weiß, ob hierzu auch (z.B.) die Eiszeiten gerechnet werden.

*) In späteren Jahren wird der Junge namens Veri einige Probleme mit seinem Namen haben. Gibt er in seiner Absenderadresse nur Veri Weber an, so kommt mit großer Wahrscheinlichkeit ein Antwortbrief an Frau Veri Weber. Da er keine Lust hat, einer Geschlechtsumwandlung unterzogen zu werden, setzt er meist den zweiten Vornamen hinzu, schreibt also Veri Josef Weber. Dann entscheiden die klugen Vorzimmerdamen meist, den Namen Veri ganz zu streichen. Also erhält er als Antwortschreiben  einen an Herrn Josef Weber gerichteten Brief. Vor ein paar Wochen, der Junge namens Veri ist jetzt 86 Jahre alt, erhält er ein Kött-Schreiben an Frau Veri und Herrn Josef Weber. Er gibt sich geschlagen!

Liebe Eltern, Wenn Ihr  solch ausgefallene Namen für Eure Täuflinge aussucht, dann sorgt auch dafür, dass diese von jung an in die Liste der Prominenz aufgenommen werden, deren Namen jeder aus Illustrierten und Zeitschriften zur Genüge kennt. Danke!

Warnung vor einer Überbewertung des Sports

Am 10. Januar 1927 warnte Reichsaußenminister Gustav Stresemann den Vorsitzenden des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen, Theodor Lewald,  in einem Brief vor den Gefahren einer Überbewertung des Sports in der Gesellschaft. Es heißt u.a.: "Mir scheint es notwendig, auch auf die Gefahr hin, weiten Massen zu missfallen, einmal ein Wort davon zu sagen, dass das Geistige gegenüber dem Körperlichen nicht weiter so zurücktreten darf, wie es jetzt der Fall ist. Wir sind Freunde jeder körperlichen Ertüchtigung. Aber, wie bereits gesagt wurde, kann nicht die Aristokratie des Geistes durch die Aristokratie des Bizeps ersetzt werden," Als Beispiel führt der Politiker an, dass sogar auf den ersten Seiten ernster Zeitungen Meldungen von Boxkämpfen und anderen Sportereignissen zu finden seien.

Da ich erst 10 Monate später das Licht der Welt erblickte, konnte ich an den anschließenden erregten Diskussionen noch nicht teilnehmen.

Novemberhimmel, Christkind ist beim Backen (Ein Weihnachtsmann kommt in der Eifel nicht vor.)

Ab der nächsten Themenseite "Kindheit im Eifeldorf" lassen wir den kleinen Veri selbst zu Wort kommen. Ich glaube, er ist ein Plappermaul (siehe die Anzahl der Themen in seiner Homepage).