Intermezzo

Osterzeit 1942, Beginn des Berufslebens, versuchte weltanschauliche Beeinflussung

 

Die Eltern versuchen, ihren Kindern einen Weg ins Leben zu weisen. Aber wohin diese von ihren Füßen getragen werden, können sie nur bedingt beeinflussen.

 

Ende der Schulzeit                Vor den Osterferien verlasse ich die zweiklassige Volksschule unseres Dorfes. Da die zweite Klasse aus den Schuljahren 5 bis 8 besteht, hatte ich genügend Gelegenheit, das Lernpensum des letzten Schuljahres durch eifriges Mithören in den vorausgegangenen Schuljahren unauslöschlich in mich aufzunehmen. Das war einer der wenigen Vorteile unserer Zwergschule. So gelingt es mir beispielsweise, fast alle wesentlichen Geschichtsdaten aus dem Kopf herzusagen. Im 8. Schuljahr konnte ich daher unseren Lehrer hin und wieder berichtigen. Dann schickte er mich kurzerhand vorzeitig nach Hause. „Welch ein Angeber“, werden Sie mit Recht sagen. Unser Dorf und die Verkehrsanbindungen zur nächsten Stadt hatten einen Wechsel zu einem Gymnasium oder einer Mittelschule ausgeschlossen. Hinzu kam, dass mein Vater ein Studium jedweder Art für unnützes Zeug hielt, zumal nach seiner festen Überzeugung nur die Tätigkeit in der Landwirtschaft wirkliche Arbeit war. Alles andere war keine sinnvolle Tätigkeit.



Die kleine Volksschule (zwei Klassen) in Schönau                                  

Das Zeugnis ist ja nicht schlecht. Aber ich bin, falls ich mich nicht weiterbilde, in meinem weiteren Leben immer nur "ein Volksschüler" einer Zwergschule vom Lande oder "aus der Provinz", wie man leicht abschätzig sagt. Was fängt man bei solchen Voraussetzungen an? In stillen Stunden könnte ich losheulen. Doch das hilft nicht weiter. Also beginne ich einen langjährigen Kampf, um mich vom Vaterhaus zu lösen und das Versäumnis nachzuholen (Lehre, Fernstudium, abendliche Privatstunden, Ingenieurstudium).

 

Nachtrag im Jahr 2012:

Inzwischen können auch die Schüler in den Dörfern der Eifel durch den Einsatz von Schulbussen weiterführende Schulen besuchen. Das halte ich für einen großen Fortschritt.

Religionserziehung ist vom nationalsozialistischen Regime nicht mehr erwünscht. Danke, Herr Lehrer Boersch für Ihre Standfestigkeit!

Zeugnis-Rückseite

Bildungschancen

Die Lage unseres kleinen Dorfes in einem Tal der Nordeifel und die ungenügende Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum nächsten Gymnasium in der Stadt Münstereifel waren die Hauptargumente für meinen Vater, einem Schulwechsel nicht zuzustimmen. Es fehlt nach meinen unausgereiften Überlegungen an einer Startchancen-Gleichheit zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung. Sie wird, so scheint es mir, von den nationalsozialistischen Ideologen auch gar nicht gewollt. Nach dem Schlagwort „Blut und Boden“ soll die urwüchsige Landbevölkerung vorrangig für die stetige Auffrischung des deutschen Blutes zuständig sein, also sozusagen als Blutquelle des deutschen Volkes erhalten bleiben. Bleibe also bodenständig dort, wo du bist und sorge für genügend Nachwuchs! (Siehe auch auf der Themenseite „Die Eifel, Aufmarschgebiet über Jahrhunderte“ den Artikel „Der Reichsnährstand, Entschuldung der Bauern“).



"Blut und Boden". Diese inhaltsarme Redensart verstehe ich nicht. Ich will sie auch nicht verstehen!

Vater hat aber inzwischen eingesehen, dass ich trotz seiner Überredungsversuche nicht für einen Verbleib in der väterlichen Landwirtschaft zur Verfügung stehe. Und ich kann jetzt auch mit ihm ruhig darüber reden. Bei der Suche nach einer Lehrstelle als Technischer Zeichner geht er sogar mit und zeigt stolz meine Zeichnungen und Gemälde.

Bei meinen späteren Reisen in Länder der so genannten Dritten Welt wird mir das Problem der schwierigen Startchancen für die Scharen aufgeweckter Jugendlicher, die unsereinem mit ihrem gewinnenden Lächeln oder dem fast erwachsen wirkenden Gesichtsausdruck  begegnen, immer wieder bewusst werden. Es ist die fehlende Startchancen-Gleichheit, die ich auf der Welt vermisse, nicht eine utopische Ergebnis-Gleichheit.



Beispiel: Berberkinder im Dadèstal, Südmarokko,

Bildungschancen gleich Null.

Mein Foto gebiert bei genauem Hinschauen weitere Aussagen. Dies herauszufinden überlasse ich Ihnen.

Lehrzeit       

Angeregt durch einen Wachtposten, der die in der Landwirtschaft arbeitenden französischen Kriegsgefangenen nachts beaufsichtigte, hatte ich mich mit dem Malen von Landschaftsbildern beschäftigt. Als dieser Kunstmaler als Wachtposten abgelöst und zur Front in Rußland versetzt worden war, verlegte ich mich, nun führerlos geworden, mehr und mehr auf das Malen von Flugzeugen und Schiffen. Das veranlaßte meinen Vater, mich in einer Maschinenfabrik als Lehrling für Technisches Zeichnen anzumelden. Vermutlich sah er ein, daß ich weniger zum Landwirt geeignet war. Vater war 1941 aus dem Wehrdienst entlassen worden, nachdem im Sommer 1940 in Orléans beim Stalldienst sein Gebiß durch einen Pferdetritt zerschmettert worden war. Als Folge dieses unverhofften Wiedersehens mit meiner Mutter kam bald mein dritter Bruder zur Welt. Es sind also noch genug Anwärter auf die Übernahme des Hofes vorhanden. so dass meinem Berufsweg nichts im Wege steht. Diesmal war ich aufgeklärt genug, die Zusammenhänge, die zur Vergrößerung der Familie führten, zu verstehen. Bevor 1935 mein zweitjüngster Bruder zur Welt kam, hatte ich eifrig Zuckerwürfel auf die Fensterbank gelegt. Bei seiner Geburt war ich davon überzeugt, den Familienzuwachs  allein bewirkt zu haben. Wenn die nur wüssten! So dachte ich allen Ernstes.

Ich beginne schon eine Woche nach Schulschluß bei der Maschinenbaufirma und es wird mir bald klar, daß mich dieses Technische Zeichnen auf Dauer nicht zufriedenstellen wird. So belege ich ein Fernstudium „Mein Weg zur Ingenieurschule“. Die Lehrhefte kommen aus Bad Frankenhausen/ Kyffhäuser und werden nach dem Lösen der Aufgaben wieder dorthin zur Korrektur zurückgeschickt. Natürlich sind alle Artikel, wie üblich, mit „Heil Hitler!“ unterzeichnet. Ein anderer Gruß ist nicht mehr geduldet.

 



Einstellungsschreiben

Die Deutsche Arbeitsfront (DAF)

Nach der Zerschlagung der Gewerkschaften war am 10. Mai 1933 als deren Nachfolgerorganisation die DAF gegründet worden. Mit der Aushändigung des Arbeitsbuches im Betrieb war man automatisch Mitglied dieser Organisation geworden. Monatlich wurden die Märkchen für die Mitgliedsbeiträge eingeklebt. Jetzt, im Jahr 1942, als mein Berufsalltag in der Firma beginnt, ist diese Zwangsgemeinschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit 25 Millionen Mitgliedern die größte Massenorganisation im Deutschen Reich. Zur DAF gehören auch die Organisation Kraft durch Freude (KdF) und das Amt für soziale Selbstverantwortung, das u.a. auch den Reichsberufswettkampf organisiert und durchführt. An letzterem finde ich sogar Gefallen, weil man sich, was Materialkunde, Werkzeugkunde und ähnliche fachspezifischen Kenntnisse anbelangt, mit den Kollegen fair messen kann. Aber die gesamte DAF ist fest in die NSDAP eingebunden.

 



Arbeitsbuch der Deutschen Arbeitsfront

Deutschland verliert die Luftherrschaft über dem Reichsgebiet

Während Hitler immer noch vom Siedlungsraum im Osten träumt, versinken Deutschlands Städte in Schutt und Asche



Britischer Halifax Bomber

Erster 1000-Bomber-Angriff der Weltgeschichte mit Köln als Ziel


Der Angriff findet in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 statt.

 

Da mir hier die Worte fehlen, zeige ich Ihnen ungeschönt den Bericht der britischen Zeitung Daily Herald vom 01.06.1942.

 

"Rund 1250 Maschinen der Royal Air Force (RAF) nahmen Samstagnacht am größten Luftangriff der Welt teil. Über 1000 von ihnen bombardierten die Gegend von Köln. In 90 Minuten warfen sie 3000 Tonnen Bomben ab. Alle sechs Sekunden überflog ein Bomber das Ziel und warf über eine halbe Tonnen Bomben ab.

Es war die vernichtendste Anderthalbstunde, die ein Zielgebiet jemals erlebt hat. Viele der Bomber – Lancaster, Stirling, Halifax - können bis zu acht Tonnen Bomben schleppen. Sprengbomben wurden zu Tausenden abgeworfen, Brandbomben zu Zigtausenden.

„Gebt’s ihnen, genau unter das Kinn“ – so lautete die Botschaft von Luftmarschall Harris, Chef des Bomberkommandos, an seine Piloten und Besatzungen. Das taten sie auch. Sogar die Deutschen gaben zu, dass „schwerer Schaden“ angerichtet wurde. Unsere Piloten konnten Rauch und Feuer von der holländischen Küste aus sehen – 140 Meilen entfernt.

Alle anderen Kommandos der RAF halfen ihnen dabei mit Ausnahme des Überführungskommandos. Nachtjagende Spitfire, Hurricane, Havoc und Beaufighter wehrten deutsche Nachtjäger ab. Das Kommando zur Heeresunterstützung half in der ersten aktiven Operation seit seiner Gründung bei den Ablenkungsmaßnahmen mit. Zu seiner Ausrüstung gehören Blenheim-Bomber und Tomahawk-Jäger.

Niemals zuvor wurde eine Kollektion von so verschiedenartigen Flugzeugtypen gemeinsam eingesetzt, denn das Bomberkommando fliegt die schweren Lancaster, Stirling und Halifax, aber auch Wellington-, Whitley- und Hamden-Maschinen.

Unsere Bomber kamen über Köln genauso schnell und pünktlich an, wie sie in England gestartet waren. Köln verwandelte sich rasch in Leuchtfeuer, das die anfliegenden Bomber bereits von der holländischen Küste anzog.

„Es war zu gigantisch, um wahr zu sein°, sagte der Pilot einer Halifax. „Doch es war echt genug, als wir ankamen. Unter uns brannten in jedem Stadtteil Häuser.“ Ein Bombenschütze, der in der Rumpfnase einer anderen Halifax lag, berichtete, dass er vor sich viele Bomber sah, die ihre Ladung abwarfen und dann abdrehten. „Es gab überall Flugzeuge“, sagte er. Der Himmel über Köln war belebt wie Piccadilly Circus. Ich konnte jeden einzelnen Bombertyp in unserer Streitmacht im Schein des Mondes und der Brände erkennen.“

Die Scheinfeuer, die die Deutschen gewöhnlich auf offenem Feld in der Umgebung Kölns entzündeten, schrumpften zur Bedeutungslosigkeit. Es wurde mehr als offenkundig, was echt und was Täuschung war. Viele der Bomberbesatzungen hatten bereits an den Angriffen auf Lübeck und Rostock teilgenommen. Die Brände in Köln, davon konnten sie sich überzeugen, waren weit wilder und größer. Bis zu 15 000 Fuß Höhe stieg eine Rauchwolke über der Stadt auf.

Bei Morgengrauen starteten Aufklärungsmaschinen. Sie kehrten mit Berichten zurück, dass die riesige Wolke immer noch über der Stadt hängt. Nachdem unsere Bomberbesatzungen vom Angriff auf Köln zu ihren Stützpunkten zurückgekehrt waren, schickte der Premierminister folgende Botschaft an Air Marshall Harris, den Chef der Bomber Command: Ich beglückwünsche Sie und das gesamte Bomberkommando zu der bemerkenswerten organisatorischen Leistung, die es ermöglicht hat, mehr als 1000 Bomber nach Köln zu schicken und deren Aktion über dem Ziel in einer so kurzen Zeit von anderthalb Stunden ohne Verwirrung zu konzentrieren. Dies beweist die wachsende Stärke der britischen Bomberwaffe. Es kündigt außerdem an, was Deutschland von jetzt ab, Stadt für Stadt, heimgezahlt werden wird."



Wenn man diesen Text liest, darf man nicht vergessen, dass den Briten nach der Zerstörung von Coventry durch die Deutsche Luftwaffe angedroht worden war:

Wir werden eure Städte ausradieren.

Britischer Lancaster-Bomber
Fotos aus dem Buch "1000 Bomber auf Köln, Operation Millenium 1942" von Eric Taylor, Droste Verlag
Nachthimmel im Krieg

Als nach dem Kriege die deutschen "Kriegsverbrecher" vor dem Nürnberger Tribunal standen und abgeurteilt wurden, dachte ich: "Immerhin 50 % Gerechtigkeit". Die Kriegsverbrecher der Sieger fehlten. Denn dies hier war ein Terrorangriff ausschließlich auf die Zivilbevölkerung einer Großstadt. Er verkürzte nicht den Krieg, sondern führte zu einer Art Volksgemeinschaft.

Tagesangriffe

Die US-Amerikaner fliegen verstärkt ab 1943 bei Tage gezielte Angriffe auf Industrieanlagen, Raffinerien und ähnliche kriegswichtige Anlagen (siehe "Sommer 1943. Das Segelfluglager in Brück in der Eifel").

Tagesangriff der US Airforce

Was soll man nun denken?

Auch wir in unserem Eifeldorf Schönau hatten den Anflug der gewaltigen britischen Luftflotte mitbekommen. Als das Dröhnen immer stärker wurde, versammelten sich die Leute auf der Straße und gaben ihren Zweifeln über einen positiven Ausgang des Krieges Ausdruck. In der Nacht zum 16.04.1942, also noch vor dem 1000-Bomber-Angriff auf Köln, fielen in meinem Heimatdorf Schönau die ersten Bomben. Sie zerstörten ein Wohnhaus. Es wurde behauptet, dass in einem benachbarten Haus aus einem nicht verdunkelten Fenster Licht ausgetreten sei. Es wurde ferner vermutet, dass nicht immer sämtliche Bomben im Zielgebiet der angegriffenen Städte abgeworfen werden könnten. Diese versuche man dann beim Rückflug militärisch "sinnvoll" loszuwerden. Der militärische Erfolg bestand hier darin, einer alten Frau das Leben zu verkürzen.

Bald darauf trafen fast täglich ausgebombte Kölner in Schönau und den umliegenden Eifeldörfern ein. Sie hatten den Rest ihrer Habe auf den Ladeflächen von Lastwagen, die von Holzvergasern *) angetrieben wurden, mitgebracht. Gisela Rath, meine spätere Frau, mit Eltern und Schwester, waren in ihrer Wohnung in Köln-Ehrenfeld  ausgebombt worden und mussten vorübergehend in einer Wohnung im rechtsrheinischen Köln-Kalk notdürftig Quartier beziehen. Durch den Einschlag einer Luftmine im übernächsten Haus hatte bei ihnen die gesamte hintere Wand einen Riss bekommen und drohte, in den Garten zu stürzen. Die erste britische Luftmine war, wie so viele neue Bombentypen, in Köln ausprobiert worden. (Texte und Bilder über Luftminen findet man im Internet.) Die Stadt Köln lag ja so günstig nahe und war durch Dom und Rhein auch bei Nacht  gut zu orten.

Die nächtlichen Luftangriffe auf Köln  wiederholten sich in immer kürzeren zeitlichen Abständen.

Wie lebte es sich in diesen unsicheren Zeiten in Köln? Mein späterer Schwiegervater August Rath entschied, alles in der Kalker Wohnung unausgepackt stehen und liegen zu lassen und umgehend in ein Haus der Gesellschaft für Kaufmannserholungsheime in Kühlungsborn an der Ostsee in Urlaub zu fahren.

Als die Ehrenfelder Wohnung bezugsfertig repariert war, zog man wieder zurück und in einer der darauffolgenden Nächte wurde das Kalker Haus das Opfer einer Luftmine.

Und welche Lehre zieht die Führung des Deutschen Reiches aus dieser misslichen Lage?

Kaum zwei Wochen nach dem 1000-Bomber-Angriff, am 12.06.1942,  billigt Heinrich Himmler  den Generalplan Ost, der die Aussiedlung von zunächst 30 Millionen Polen, Tschechen, Ukrainern und Weißruthenen nach Sibirien vorsieht. Auf diese unmenschliche Art soll freier Raum entstehen für die Ansiedlung der deutschen Herrenrasse. (Siehe Lageplan auf der Themenseite " Reifen und wachsender Widerstand".)



*) LKW mit Holzvergaser der Firma Imbert Köln. Wegen der Benzinknappheit werden nach und nach alle privaten Lastkraftwagen mit diesen Holzvergasern ausgerüstet.

Der Peter-und Paul-Angriff

am 29. Juni 1943 auf Köln

Im Kölner EXPRESS DE entdeckte ich jetzt im Jahr 2015 einen Artikel unter dem Titel „Der Tag, an dem das alte Köln unterging“ (und zwar mit obigem Foto) von Bastian Ebel und Inge Wozelka.  Hiernach war dieser „Peter- und Paul-Angriff“ in der Nacht zum 29. Juni 1943 das schlimmste Bombardement Kölns im Zweiten Weltkrieg. Da 230 000 Einwohner obdachlos wurden und viele andere die dauernden Luftangriffe nervlich nicht mehr verkrafteten,  setzte in den darauf folgenden Tagen eine gewaltige Flucht aus dem Kölner Stadtgebiet in die umliegenden ländlichen Gebiete, zum Beispiel die Eifel, ein.

 

An diesen Tagen stand ich als Technischer Zeichnerlehrling in der Bohrmaschinenfabrik Hettner in Münstereifel an meinem Reißbrett und konnte von diesem Arbeitsplatz aus auf die draußen vorbeiführende Reichsstraße 51 (heute Bundesstraße 51) blicken, wo in kurzen Abständen LKWs mit Holzvergasern vorbeituckerten. Auf den Ladeflächen saßen die Frauen mit ihren Kindern auf den Resten ihres Hab und Guts und blickten aus müden Gesichtern in eine trostlose Zukunft. Ein älterer Kollege, der hinter seinem Reißbrett stand, sagte nur immer wieder: Oje, oje,- oje, oje“. In unserer  regimetreuen Tageszeitung, dem Westdeutschen Beobachter, war scheinbar kein Platz für solche Gemütsäußerungen und auch nicht für eine wahrheitsgetreue Schilderung dieses Elends.  

Brett vorm Kopf?

Nein!- Jeder Technische Zeichner im Konstruktionsbüro der Hettner Bohrmaschinenfabrik stand an einem solchen Reißbrett.

Und von hier aus beobachteten wir das Drama auf der Reichsstraße 51.

Der letzte von 262 Luftangriffen auf Köln

Etwa 70 Jahr später, am 4. März 2015, brachte der Kölner Stadtanzeiger unter diesem Titel einen  umfassenden und sehr interessanten  Bericht von Uli Kreikebaum über die letzten Kriegsereignisse in Köln bis zum Einmarsch der Amerikaner am 06. März 1945.

Tragisches Schicksal Kölns im 2. Weltkrieg

 

  • 262 Bombardements
  • 1,5 Millionen Bomben
  • 20 000 Tote
  • Zeitraum: Im wesentlichen zwischen 1942 und Anfang 1945

Das hatte das nicht sehr braune Köln nicht verdient!

Versuchte weltanschauliche Beeinflussung       

Der Machtanspruch der Partei auf alles Leben in Deutschland macht sich von Tag zu Tag immer stärker bemerkbar. Vor allem die Jugend soll nach Hitlers Wunsch ganz im Sinne der Partei und ihrer Weltanschauung erzogen werden. So wird unser Erholungsurlaub nicht zu Hause, sondern gezwungenermaßen in einem Ferienlager der Partei verbracht. Durch mein Interesse an Geländespielen mit Marschkompaß usw. hatte man mich vor einiger Zeit in unserem Dorf zum Fähnleinführer beim Deutschen Jungvolk gemacht. Nun zurück zum Ferienlager. Der Lagerleiter, ein Bannführer der Hitlerjugend, fragt mich nun so nebenbei, wann ich sonntags mit dem Jungvolk Appell abhalten würde und ich antworte ganz bewusst und ein wenig trotzig: „Nach der Heiligen Messe, Herr Bannführer“. Das habe ich nicht gekannt, oder doch! Ich werde angewiesen, diesen Unsinn zu ändern und den Appell während der Messe abzuhalten. Ich muss ein paar Schritte vortreten. Nun hat der Herr Bannführer einen triftigen Grund gefunden, einen Redeschwall über meinen Kopf so auszugießen, dass möglichst allen Lagerteilnehmern bewusst wird, woher der Wind weht: „Wer hat die deutsche Seele vergiftet? Petrus, Paulus, Johannes und wie sie alle heißen. Es wird höchste Zeit zur Umkehr! Wir müssen wieder unsere urgermanischen Wurzeln finden und den aus dem Orient stammenden Ballast auf den Misthaufen der Geschichte werfen.“ Und so weiter. Dann wird auf den von Hitler selbst erfundenen gemeinsamen Feind unseres Volkes verwiesen. Es sind dies, wer hätte das in seinen schlimmsten Befürchtungen geahnt, „die vom Vatikan unterstützten jüdisch-plutokratisch-bolschewistischen Kräfte“. Also eine unsinnige „Verschwörungstheorie“. Diese reine Erfindung verleitet die Partei zu einer ideologischen Selbstermächtigung zur Gewalt. Es scheint also ausgemachte Sache zu sein: In einer geschickten Reihenfolge des Vorgehens werden diese Feinde, einer nach dem anderen liquidiert werden, bis zur physischen Vernichtung. Die Partei beansprucht den ganzen Menschen. Die Mitbürger jüdischen Glaubens, mittlerweile in die Konzentrationslager eingeliefert, sind bereits kein Thema mehr.



Der Bannführer bei der "Kopfwäsche"

Nach dem Knoblauch kommt der Weihrauch an die Reihe

Was die Partei stört, sind die christlichen Kirchen, vorrangig, weil durch Dogmen gefestigt, die katholische. Diese ist, wie das Judentum, zu international, zu wenig völkisch und somit für die Verwirklichung des aus dem Sozialdarwinismus entstandenen Rassegedankens und der Vernichtung „minderwertiger“ Rassen hinderlich. Ein Jude aus Münstereifel formulierte es vor seiner Deportation in ein Konzentrationslager so: „Freut euch nicht zu früh! Nach dem Knoblauch kommt der Weihrauch an die Reihe.“ Später einmal wird ein Schriftsteller Hochhuth diese Zusammenhänge ignorieren und den behutsamen Papst Pius XII als Verbrecher bezeichnen. Aber in den Augen der nächsten Generation werden wir wohl alle mehr oder weniger Verbrecher sein.

Von Lagerteilnehmern aus dem Rheinischen Braunkohlengebiet erfahren wir erstmalig von verbotenen Jugendverbänden, die gegen die Hitlerjugend Front machen. Eine eher romantische Jugendbewegung sind die Edelweißpiraten.

Nach meiner Rückkehr aus dem Lager trete ich aus dem Deutschen Jungvolk aus und in die Flieger- HJ der Stadt Münstereifel ein. Das hat den Vorteil, jährlich an einem Segelfluglager    teilnehmen zu können, ohne, wegen der großen Entfernung unseres Dorfes zur Stadt, an den wöchentlichen Appellen teilnehmen zu müssen. So bin ich vor politisch- weltanschaulicher Belästigung geschützt. Die Segelfluglager sind total unpolitisch und so recht nach meinem Geschmack.

Abtransport der christlichen Juden    

Meiner Lehrzeit als Technischer Zeichner ist ein mehrmonatiges Praktikum in der Lehrwerkstatt für Maschinenschlosser vorgeschaltet. Wir stehen in Reih und Glied an den Werkbänken und feilen an den in Schraubstöcke eingespannten Lehrstücken herum. Neben mir steht ein Lehrling aus der Kreisstadt Euskirchen. Eines morgens kommt er tief niedergeschlagen an, unfähig, seine Arbeit am Schraubstock ernsthaft zu beginnen. „Was ist heute eigentlich mit dir los?“ frage ich. Dann schildert er mir sein Erlebnis auf dem Euskirchener Bahnhof. Als er zu seinem Zug nach Münstereifel geht, erblickt er auf dem parallelen Bahnsteig die von Posten bewachten und hin und hergeschubsten jüdischen Mitbürger seiner Vaterstadt. Die meisten sind ihm als christliche Juden bekannt und vertraut. Man hat gerade begonnen, die Kinder von den Eltern zu trennen und in separaten Viehwaggons unterzubringen.  Nach seinen Schilderungen ein herzzerreißendes Bild des Jammers. „Warum tun Menschen einander solche Scheußlichkeiten und Grausamkeiten an?“ fragt er. Der Vatikan in Rom hatte angeblich bei Hitler wegen der Judenverfolgungen protestiert. Das ist

seine Quittung: Die Liquidierung auch der christlich getauften Juden!   

Innerer Widerspruch     

Seit dem Vorkommnis im Ferienlager und dieser Schilderung des Euskirchener Lehrlings beginnt in mir der bei vielen Deutschen vorhandene scheinbare Widerspruch zwischen Vaterlandsliebe und Verteidigungsbereitschaft auf der einen Seite und Ablehnung der Partei und ihrer Machtinstrumente auf der anderen Seite zu wachsen. Ich kann die scheißbraunen Uniformen der Partei nicht mehr ausstehen! Das Feldgrau der Soldaten hingegen ist der „Waffenrock“ unserer Väter und „Jungs“ und steht in meinen unschuldigen Jungenaugen unangreifbar hoch über den Parteiuniformen. Manchmal gewinnt zwar, nur zaghaft und nicht von langer Dauer, der Wunsch die Oberhand, auch bei der NSDAP mitzumachen, um in ihren Reihen Kameradschaft und bedingungslose Gläubigkeit hautnah zu erfahren. Aber dann gewinnt wieder der Einfluß meiner Mutter die Oberhand, die mir, gottseidank, durch Erziehung und praktisches Beispiel beigebracht hat, dass alle Menschen vor Gott gleich und menschenwürdig zu behandeln sind. Die Partei aber spricht bis zum Überdruss vom Völkerringen unserer Tage, bei dem nur eine der kriegführenden Seiten überleben könne.

Fehlende geistige Reife

Die meinem Alter zuzuschreibende fehlende Reife führt in meinem Kindskopf zu skurrilen Vorstellungen. Es führt nach meiner Meinung nur ein gangbarer Weg aus diesem Konflikt: Man muss sich im Beruf und später an der Front so beeindruckend bewähren, dass man nach Kriegsende autorisiert mitreden und für eine freiheitlichere Entwicklung eintreten kann. Das mich umtreibende Problem ist hier in einigen Sätzen kurz umschrieben; dies kann aber die Gewissensnot meiner jungen Seele nicht hinreichend wiedergeben. Mein noch ungeschultes Denken wird durch nicht klar formuliertes Grübeln ersetzt, das sich bis zur Ausweglosigkeit steigert.  Mir ist bis zum Überdruss klar, daß mir der Besuch der Zwergschule in unserem Dorf viel zu wenig Wissen vermittelt hat und so lese ich fast alles, was mir an Büchern in die Finger fällt. Doch die meisten Bücher, sofern es sich um Neuerscheinungen oder öffentliche Bibliotheken handelt, sind „braun gefärbt“.

 



Ernteeinsatz mit städtischen Verwandten während des Krieges

Segensreiche Hilfe meines Onkels Josef Nußbaum  

So bleibt mir nichts anderes übrig, als mir manches Wissen durch Beobachten und Zuhören bei kritischen Gesprächen anzueignen. Eine große Hilfe ist hierbei mein von dem schlimmen Vorgehen der Deutschen in Polen berichtender Onkel Josef Nußbaum, der leider nur immer für kurze Zeit auf Urlaub ist. Er versteht es, mich von einigen wirren Vorstellungen trotz meines vorübergehenden Widerspruchs zu befreien. Er findet die Vernichtungspolitik gegenüber dem Polnischen Volk für so untragbar, dass er sich von seiner ungefährlichen Schreibtischarbeit bei der Standortkommandantur Posen weg und hin zum Militärdienst meldet. Er berichtet, wie die deutschstämmige Bevölkerung, zum Beispiel die kurz zuvor angesiedelten Baltendeutschen, den Wunsch äußern können, ein Haus ihrer Wahl unverzüglich in Besitz  zu nehmen. Die Opfer erhalten praktisch keine Vorwarnung. In den Nächten werden ganze Familien aus dem Schlaf gerissen und, nur halb angezogen, ohne jede Habe abtransportiert.. Polen ist also zum Experimentierfeld für die Rassentheorie geworden. Die Polen, als rassisch minderwertig deklariert, sollen die Sklaven des Großdeutschen Reiches werden. In eiskalten Güterwagen werden sie in dieses Reich gekarrt und einzeln, dem Familienverband entrissen, irgendwo einem landwirtschaftlichen oder industriellen Betrieb „zur Verfügung“ gestellt. Menschliche Beziehungen dürfen sie zu den „Reichsdeutschen“ nicht knüpfen. Wenn sich ein Pole in ein deutsches Mädel verliebt, wird er wegen Rassenschande erhängt. Basta!

Vor Kriegsausbruch war mein Onkel in Meckenheim in einer landwirtschaftlichen Großhandlung als Büroleiter und Buchhalter beschäftigt. Die Firma gehörte einem Juden, der im 1. Weltkrieg wegen Tapferkeit das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen bekommen hatte. Deshalb fürchtete er sich auch nicht vor Übergriffen der Nationalsozialisten. In den Schulferien, ich weiß nicht mehr in welchem Jahr, stand ich eines Tages mit Onkel Josef und Tante Gretchen  am Fenster, als der Gesang einer Marschkolonne der SA immer näher kam. „Da singen sie wieder das scheußliche Lied“, sagte meine Tante. Als sie unten am Fenster vorbeizogen, konnte ich einen Teil des Textes verstehen: „Soldaten, Kameraden, stellt die Juden, stellt die Juden an die Wand!“ Mein Onkel, der vor Wut im Gesicht rot anlief, sagte kein einziges Wort. Als die SA in der Progromnacht zum 9. November 1938 die Wohnung des im 1. Weltkrieg wegen Tapferkeit dekorierten jüdischen Mitbürgers demolierte, den Herd unbrauchbar machte und ihm die Firma ersatzlos abnahm und einem Parteimann übereignete, kündigte mein Onkel unverzüglich. Er zog mit meiner Tante und den 2 kleinen Söhnen erst nach Ameln und später nach Düren. Dort wurde er kurz nach dem deutschen Sieg über Polen nach der Standortkommandantur in Posen dienstverpflichtet.

Als er die unmenschliche Behandlung der Polen nicht mehr ertragen kann, meldert er sich zur Wehrmacht. Nach einer Kurzausbildung wird er mit seiner Einheit nach Split in Jugoslawien verlegt.

Die Uniform als gemeinsames Schicksal           

Mein Onkel ist für mich ein Musterbeispiel dafür, dass es dem Einzelnen kaum gelingen kann, sich vom Schicksal seines Volkes abzukoppeln und ungefährdet einen eigenen Weg zu beschreiten. Denn, als sich sein Stab kurz vor Kriegsende von Split aus  auf den Rückzug gen Norden nach Deutschland begibt, mit nichts anderem im Sinn, als endlich heimzukehren, und in der Weite der unübersichtlichen Karstlandschaft zwischen Adria und Karawanken einer jugoslawischen Partisaneneinheit in die Hände fällt, fragt keiner von diesen Freischärlern nach der Gesinnung des einzelnen Soldaten. Die gemeinsame „feindliche“ Uniform besiegelt das gemeinsame Schicksal und so wird mein Onkel, der für mich als der ehrliche Antinazi aus religiöser Überzeugung und rein menschlicher Haltung gilt, mit den anderen zusammen ermordet.

 



Gelebte Gemeinschaft als Köder für die Jugend             



Was hatte mich überhaupt bewogen, vor etwas mehr als einem Jahr in meinem Heimatdorf einen Führungsposten im Deutschen Jungvolk anzunehmen? Nun, nachdem der einzige Sohn einer alleinstehenden Mutter, die vor einigen Jahren zugezogen war und deren Herkunft ich nicht kannte, mit dem Aufbau eines Fähnleins des Deutschen Jungvolks im Dorf begann, folgte ich zunächst dem Rat meiner Eltern, nicht mitzumachen, fühlte mich aber bald als von den anderen „ausgeschlossen“. So etwas verträgt man als Heranwachsender kaum, zumal man sich in diesem Alter von Zuhause zu lösen beginnt und außerhalb des Elternhauses so etwas wie Gemeinschaft sucht. Als der vorstehend erwähnte Gründer des DJ unseres Ortes, der sich uns Dorfjungen gegenüber als etwas Besseres wähnte und dies auch in überheblicher Weise zur Schau trug, Soldat wurde und von einem mir sympathischer erscheinenden älteren Jungen aus dem Dorf abgelöst wurde, begann ich, auch gedrängt durch das Gesetz über die



Wie stolz ist dieser Junge, weil er auf die Pauke hauen darf!  (Werbeplakat für das Deutsche Jungvolk in der HJ)

 



Mitgliedspflicht, an den Abendveranstaltungen im eigens  errichteten Jugendheim teilzunehmen. Man sah hier in unserem Dorf davon ab, uns mit dem Gedankengut der NSDAP zu füttern, sondern beschränkte sich auf Lesungen aus der Nibelungensage oder griechischen Mythologie. Hinzu kamen die jeden Jungen begeisternden Geländespiele mit Wegorientierung mittels Marschkompaß und Messtischblatt und so weiter, die ich bald perfekt beherrschte. Als ich dann gebeten wurde, bei den in diesem Rahmen stattfindenden Veranstaltungen das Fähnlein zu führen, sah ich keine Gründe für eine Ablehnung. Und dies blieb so bis zu dem Zeitpunkt im Sommerlager 1942, als mir der Bannführer mit seinem als Zurechtweisung gedachten Redeschwall meine unschuldigen Augen öffnete. Das war wohl nicht seine Absicht!

Ich beginne jetzt, den dargebotenen Lesestoff mit noch kritischeren Augen zu betrachten und das Gehörte immer wieder zu überdenken, bevor ich mir eine eigene Meinung bilde. Aber, um ehrlich zu sein, mir fehlt doch noch die nötige Reife.  Gott sei dank findet man auch noch manche älteren Bücher, besonders bei der wegen der Brandbombengefahr angeordneten „Entrümpelung“ (so der offizielle Ausdruck) der Speicher und Kammern.

 

Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Spüren der Dinge von innen her

                   Ignatius von Loyola ( 1491 – 1536).

                                                                           

                                                                      



Sommer 1943

In Russland ist die Zeit der deutschen Siege und der großen Kesselschlachten, die zur Gefangennahme Hunderttausender von Rotarmisten führten, zu Ende. Im Spätsommer 1942 zog sich der Gegner wie beim Napoleonischen Krieg strategisch sinnvoll in die Weiten seines Landes zurück und lockte die Deutschen und ihre Verbündeten, vor allem Ungarn, Rumänen und Slowaken, sowohl zu den Ölfeldern des Kaukasus als auch zur Wolga, also in zwei getrennte Richtungen und damit in die Katastrophe. Die Finnen hatten sich mit der Rückeroberung Kareliens begnügt.

In der Maschinenfabrik sind jetzt viele Russen und Ukrainer in der Produktion eingesetzt, sowohl Kriegsgefangene als auch verschleppte Zivilarbeiterinnen. Diese sogenannten Fremdarbeiter sind überraschend sprachbegabt und gesprächsbereit. Einige Gefangene, so stelle ich mit Erstaunen fest, beherrschen die Mathematik zumindest so gut wie ich, der ich ja einen Fernkursus „Mein Weg zur Ingenieurschule“ belegt habe.                                      



Der Schulgleiter SG 38 wird für die A-Prüfung benutzt. Wir starten auf der Kuppe eines Lavaberges bei Brück in der Vulkaneifel.

Das Segelfluglager in Brück in der Eifel

Im Frühsommer 1943 nehme ich an einem Segelfluglager in der Vulkaneifel teil. Das Flugzeug, ein Schulgleiter SG 38, muss von uns nach jedem Flug vom Landeplatz, einer Wiese im Tal, auf den Startplatz auf der Kuppe eines Lavaberges hochgeschleppt werden. Eines Mittags sitzen oder liegen wir nach dem Hochschleppen ermattet auf einer Wiese und blinzeln in den von Schönwetterwolken verzierten blauen Himmel. Dann kommt von Nordwesten ein zunächst nur schwach vernehmbares Summen schnell näher und steigert sich in kürzester Zeit zu einem gewaltigen Dröhnen schwerer Flugzeugmotoren. Über uns hinweg zieht ein aus mindestens 300 Maschinen bestehender Verband  viermotoriger amerikanischer Bombenflugzeuge vom Typ Boeing B 17 in Richtung Rhein-Main-Gebiet, wie wir später aus den Abendnachrichten erfahren werden, wo dann in der Stadt Schweinfurt die gesamte deutsche Kugellagerherstellung „schwer  in Mitleidenschaft  gezogen“ wird. Der Verband besitzt eine Feuerkraft, die sich wie ein gefährliches Grollen anhört und die sich nähernden deutschen Jagdflugzeuge zum vorzeitigen Abdrehen zwingt. Schwere Artillerie in fliegenden Festungen! Dies ist der erste Tagangriff feindlicher Flugzeuge und ab heute wird sich folgende Aufgabenteilung zur Präzision steigern: Britische Flächenbombardements während der Nacht und amerikanische Zielangriffe auf wichtige Produktionsstätten, Ölraffinerien und strategisch wichtige Verkehrsanlagen bei Tage. Während des dreiwöchigen Lagerlebens in der Vulkaneifel erfahren wir



Von Jagdflugzeugen begleitete Bomberverbände am Himmel über Deutschland.   

von einem weiteren Rückschlag  der deutschen Flugabwehr. Ab Anfang 1943 hatten sich die Abschußzahlen dank eines ausgereiften Horch- und Steuerungssystems und der Schlagkraft des legendären Flak- Geschützes 8,8  bis auf etwa 80 Bomber pro Nacht gesteigert. Die Briten erwägten schon die totale Einstellung der Nachtangriffe. Dann flatterten eines Nachts silberne Stanniolstreifen gleich haufenweise rauschend und  raschelnd vom Himmel und ließen die Bauern rätseln, was denn da wohl auf ihren Heuwiesen herumliege. Nun, diese scheinbar harmlosen Streifen legten das gesamte Peilsystem der Flugabwehr lahm.



Es ist nicht alles Gold was fliegt

 

Ach, wie herrlich ist das Fliegen,                   S’Segelflugzeug muss nach oben,

ohne Motor hochgestiegen.                            wird gezogen und geschoben.

Der Wind pfeift in den Ohren.                         dann fliegen all‘ die andern.

 

Am hölzern Sitze festgezurrt,                          Das ist die große Schweinerei:

mit Schulterriemen und ‘nem Gurt                   Für zwei Minuten Fliegerei,

fühl mich wie neugeboren.                              muss man drei Tage wandern.

                           

 

Doch in Minuten ist’s vorbei,                          Und ist der letzte Flug vorbei,

dann kommt die große Plackerei:                  dann gibt es auch noch Keilerei,

Jetzt heißt es wieder schleppen.                     als „Quittung für Transporte“.

 

Vom Wiesental auf Bergeshöh‘                      Ja, so ist das Menschenleben:

Es drückt der Schuh, es schmerzt ein Zeh.     Für sehr viel Mühe gibt es eben,

Wir schwitzen wie die Deppen.                       statt Lohn nur dumme Worte.

 



Die SS-Werbung

Nach der Wiederaufnahme meiner Arbeit im Betrieb munkelt man, in Kürze würden wir zu Werbeveranstaltungen der Waffen-SS befohlen und es sei äußerst schwierig, diese Veranstaltungen zu verlassen, ohne, mit Nachdruck versteht sich, eine Freiwilligenmeldung unterschrieben zu haben. 

Da kam mir die positiv absolvierte Segelflugschulung gerade recht: Ich meldete mich unverzüglich freiwillig zum Fliegenden Personal der Deutschen Luftwaffe. Die Werbeveranstaltung der Waffen-SS läßt nicht lange auf sich warten und verläuft dann auch, wie erwartet, für einige Teilnehmer schlimm. Wer sich am Kopf kratzt wird gezwungen zu unterschreiben, weil er sich ja durch Handaufheben gemeldet habe. Am Schluss muss jeder zwischen zwei SS-Offizieren hindurch zur Tür gehen. Auch dieses Verfahren bleibt nicht ohne Erfolg für die Veranstalter. Mein Nachweis der Freiwilligenmeldung zur Luftwaffe lässt mich hingegen ungeschoren davonkommen. Gott sei Dank! Und meinen Eltern fällt einer der vielen Steine vom Herzen.

Von einem Kölner Freund erfahre ich, daß die SS bei ihnen weit schlauer und raffinierter vorging. Hier kam der Offizier zur Tür herein und warf aus dieser Entfernung seinen Dolch in den Holzrand einer Tafel, ging nach vorne und hängte seine SS-Mütze am Schaft des Dolches auf. Diese bühnenreife Vorführung erntete tosenden Beifall und bildete damit den Nährboden für eine fruchtbringende Veranstaltung: Ein hoher Prozentsatz der anwesenden begeisterungsfähigen Jungen meldete sich freiwillig zur Waffen-SS. Die Ernüchterung kam bei ihnen erst zu Hause, als es zu spät war.

 

Nun, die Schamanen der Naturvölker konnten einige Menschen gleichzeitig in Trance versetzen. Die Verführer der Neuzeit schaffen es heutzutage mit ganzen Sälen.

 

Jahrzehnte nach Kriegsende erzählt mir ein Kollege, wie die SS in einem Lager des Reichsarbeitsdienstes, in welchem er für drei Monate Dienst verichten musste, vorging.

Der SS-Offizier legte ihnen einen Zettel mit folgendem Inhalt vor:

 

    Ich werde mich jederzeit rückhaltlos

    für Führer, Volk und Reich einsetzen.

 

_____________________________________

                    (Unterschrift)


Es handelte sich um ein Doppelblatt. Auf dem zweiten Blatt, auf den die Unterschrift

kopiert wurde, stand:

 

     Ich melde mich freiwillig zum Dienst

     in der Waffen-SS.

 

______________________________________

                    (Unterschrift)

Zur Erläuterung: Dem Militärdienst war ein dreimonatiger Dienst beim Reichsarbeitsdienst vorgeschaltet. Siehe auch : "Jetzt packt man mich an der Hose".

 

„Wir machen keine Gefangene“

Zunächst war die Waffen-SS eine reine Freiwilligentruppe. Da jedoch die Freiwilligenmeldungen mit der Zeit die hohen Verluste an der Front nicht mehr aufwogen, wurde schon im Laufe des Jahres 1943 versucht, Zwangsrekrutierungen vorzunehmen.

Allerdings gibt es auch in den kleinen Dörfern der Eifel junge Leute, die sich zu Hause in der Landwirtschaft wie Knechte ihres dominanten Vaters vorkommen. Sie sind es, die sich in der Waffen-SS wie die Herren über Leben und Tod vorkommen und dieses Gefühl der Überlegenheit an der Front sehr oft ausspielen. „Wir machen keine Gefangenen“ posaunen sie im Urlaub Respekt erhaschend heraus. Ich kann es schon nicht mehr hören! Wer hat nicht schon von Sonderkommandos der SS gehört, die hinter der Front, besonders im Osten, unmenschliche Verbrechen begehen. Aber die weltanschauliche Richtung wurde schon beim Frankreichfeldzug 1940 offenbar, als die Einheiten der Waffen-SS eine bleibende Spur durch Frankreich zogen, indem sie auf ihrem „Siegeszug“ sämtliche Kruzifixe an den Wegrändern und vor den Kirchen und Kriegerdenkmälern zerschlugen. Wie sagte der Münstereifeler Jude vor seinem Abtransport ins KZ: „Freut euch nicht zu früh! Nach dem Knoblauch kommt der Weihrauch an die Reihe.“

Im Spätherbst 1944 und Winter 1944/45 werden wegen fehlender Flugzeuge und Verknappung des Flugbenzins (Verlust der rumänischen Ölfelder) zahlreiche Bodenpersonaleinheiten der Luftwaffe aufgelöst und zum großen Teil geschlossen der Waffen-SS zugeordnet. Als die im ehemaligen Führerhauptquartier oberhalb Münstereifel seit Jahren beschäftigte Baueinheit mit in die Jahre gekommenen Familienvätern ebenfalls Anfang 1945 aufgelöst wird, verschwindet auch sie in der Waffen-SS. Keiner von diesen alten Männern wird seine Heimat wiedersehen. Man ist dabei, Mitschuldige zu rekrutieren, sagt aber (so bei der SS-Werbung in Münstereifel): „Der Feind fürchtet den politischen Soldaten“. Als lange nach Kriegsende ein Treffen von amerikanischen und deutschen Politikern mit Kranzniederlegung  auf dem Soldatenfriedhof Bitburg in der Eifel geplant wird, protestierte  der jüdische Weltbund hiergegen, weil man ein paar Gräber mit beerdigten Soldaten der Waffen-SS entdeckt hatte. .Überempfindlichkeit von Unbedarften! Denn: Vielleicht fanden hier auch einige der armen Kerle, die man unfreiwillig in diese Einheit gepresst hatte, die ewige Ruhe. Und wer soll darüber richten, wenn 17jährige sich freiwillig meldeten? In normalen Zeiten ist dies die Periode vor der einsetzenden Reife, mit Dummejungenstreichen und unbedachten Entschlüssen. Vielleicht bekommt eines Tages einer von ihnen, sofern er den Krieg unbeschadet überlebt, als gereifter Mitbürger den Nobelpreis oder die Ehrenbürgerschaft einer Stadt. Oder er macht dann andere Feinde ausfindig, zum Beispiel die christlichen Kirchen, die es in Wort und Schrift zu bekämpfen gilt.

 

Edelweißpiraten    

In unserem Alter von 15 Jahren macht man gerne hin und wieder Dummejungenstreiche. So hatten wir von der Existenz der Edelweißpiraten munkeln gehört, hatten begeistert die romantischen Lieder von Rübezahl und Volk und Heimat, die nicht mehr frei sind, mitgesungen. Wir, drei Zeichnerlehrlinge, kommen nun auf die Idee, am Reißbrett des Technischen Büros unserer Maschinenfabrik ein Abzeichen zu entwerfen. Es zeigt ein Edelweiß im Zentrum und, dieses umschließend, die beiden Texte „Beschütze uns Rübezahl zu jeder Zeit“ und „Edelweißpiraten sind treu“. Also reiner Stuß! Im Städtchen arbeitet ein Modellschreiner ungarischer Herkunft im Auftrag unseres Betriebes selbständig. Dessen Sohn wird nun auf offener Straße vom Ortsgendarmen angehalten und nach der Herkunft seines am Revers befestigten Edelweiß- Abzeichens befragt. „Ja, die werden im Technischen Büro der Maschinenfabrik hergestellt“. Mein Gott, gibt das einen Aufruhr! Am vernünftigsten ist noch der Gendarm, der schnell herausfindet, daß es sich hier nur um einen unüberlegten, völlig harmlosen Streich handelt. Wir sind glimpflich davongekommen, haben aber aufgrund der ganzen Atmosphäre gespürt, daß man solche Späße in dieser Zeit und bei diesen politischen Verhältnissen nicht gefahrlos machen kann.

Der Drahtfunk

Die Schlagkraft der britischen und amerikanischen Bomberverbände wächst rapide und weckt mein Interesse, die Meldungen der deutschen Luftverteidigung abzuhören. Die einzige Möglichkeit hierzu bietet der sogenannte Drahtfunk. Ich spanne parallel zu  der zu unserem Haus führenden Telefon-Freileitung einen gut leitenden Draht durch die Luft, der ein „Überspringen“ der in den Telefonnetzen der Deutschen Reichspost vagabundierenden Meldungen der deutschen Luftverteidigung von einem Draht zum anderen  sicherstellt. Zunächst glaube ich selber nicht an einen Erfolg meiner Bemühungen Aber letztendlich es klappt tatsächlich, nachdem ich die Frequenz des „Senders“ nach längerem aber erfolgreichem Suchen gefunden habe. Nun beschaffe ich mir noch eine Karte mit den amtlichen numerierten Planquadraten. Jetzt verfolge ich abends den Anflug der Bomberverbände, deren jeweilige Position mit den Nummern der erwähnten Planquadrate bestimmt und sehr genau gemeldet wird. So kann ich auch mit ziemlicher Genauigkeit nach dem Abdrehen und Zurückfliegen der Flugzeuge herausfinden, welche Großstadt diesmal das Opfer ihrer Bomben geworden ist. Erst nach der Landung der Alliierten in Süditalien gelingt mir Letzteres nicht mehr. Nun fliegen die Bomberverbände entweder von England bis Italien durch, um dort zu landen oder umgekehrt, also ohne über Deutschland wenden zu müssen.



Deutscher Nachtjäger vor dem Einsatz. Neuerdings fliegen oder „schwimmen“ sie nach dem System „Wilde Sau“ im Bomberstrom mit. Über den von Scheinwerfern angestrahlten Wolken können sie die oberhalb derselben fliegenden Bomber  deutlich erkennen.

 



Zu Beginn des Krieges hatte ich die Erfolge der deutschen schnellen Feldzüge mit ihren beträchtlichen Landgewinnen mit verständlichem Stolz auf übersichtlichen Landkarten verfolgt. Jetzt verfolge ich die todbringende Spur, die von den Feindmaschinen in den deutschen Himmel gezeichnet wird, anhand von Planquadraten. Es ist für unser kleines Dorf ohne Belang. Dieses wird von den Bomberpulks total ignoriert und es wird erst in den letzten Kriegsmonaten, wenn es zum Hinterland der Westfront gehören wird, tägliches Ziel der Jagdbomber werden. Das Abhören des Drahtfunks  ist also mehr ein Spiel, ein makabres Spiel freilich. Mein Interesse galt vor allem dem erfolgreichen Herstellen eines funktionierenden „Drahtfunks“, also dem Lösen eines technischen Problems.   



Hitler:  „Wir wollen einen neuen Menschen schaffen. Und wer will behaupten, dass er hier heute nicht schon vor uns steht.“

 

Oben: Aufmarsch der Jugend auf einem Reichsparteitag

in Nürnberg



Die amerikanischen Luftangriffe finden bei Tage statt. Hier eine Fliegende Festung, Boeing B 17 f

Die deutsche Luftherrschaft über Deutschland besteht nicht mehr.

Mittlerweile sind auch die Tagesangriffe der Amerikaner für diese weniger verlustreich geworden als zu Beginn. (Siehe: Das Segelfluglager in der Eifel.) Der Standardbomber der Amis ist die viermotorige Boeing B17, die nach und nach zur Flying Fortress B17f weiterentwickelt wird. Eines Nachmittags verlasse ich das Technische Büro in der Bohrmaschinenfabrik Hettner in Münstereifel wegen leichten Fiebers vorzeitig und begebe mich per Fahrrad auf den Heimweg über Eicherscheid zu meinem Heimatort Schönau. Tiefhängende Wolken schleifen über die bewaldeten Berge links und rechts der Chaussee. Über den Wolken zieht wahrscheinlich ein amerikanischer Großverband seine todbringende Bahn, denn schon seit Beginn meiner Heimfahrt ist ein monotones Brummen schwerer Flugzeugmotoren zu hören. Als ich mich auf halber Strecke zwischen Eicherscheid und Schönau befinde, geht das gleichmäßige Summen in laute an- und abschwellende Motorengeräusche über, die, immer heftiger werdend, vom Stakkato  schwerer Bordwaffensalven begleitet werden. Plötzlich gibt es in den Wolken über mir eine gewaltige Explosion, der ein regelrechter Regen von Flugzeugteilen und Besatzungsmitgliedern folgt. Vor, hinter und über mir, fällt es aus den tiefhängenden Wolken baumelnd zur Erde. Ich stoppe einen langsam dahinkriechenden Lastwagen, der seinen Treibstoff aus einem Holzvergaser bezieht, und klettere mit dem Fahrer, Schutz suchend, unter die Ladefläche.

 

Dann, nachdem der Bomberpulk immer leiser werdend weitergezogen ist, herrscht eine fröstelnerzeugende Ruhe. Es ist die Stille des Todes. In nächster Nähe liegt ein toter amerikanischer Flieger auf dem Rücken, so, als habe man ihn hier zum Sterben hingelegt. Die Knöpfe seiner Uniform zeigen den fünfeckigen Stern, mit dem auch die amerikanischen Flugzeuge gekennzeichnet sind. Irgendein Schwätzer kommt vorbei, sieht diese Sterne und mutmaßt, es sei ein Jude. Eine seiner dummen Bemerkungen lässt erkennen, dass er durch Propaganda und Kriegsgeschehen  verroht ist. Ich gebe ihm zu bedenken, dass hier ein junger Mensch liegt, auf dessen gesunde Rückkehr aus dem Krieg irgendwo in Amerika eine Mutter oder Ehefrau vergebens warten wird. Und womöglich sind seine Vorfahren deutsche Einwanderer gewesen. In diesem Moment hasse ich den Krieg!

Als ich am darauf folgenden Tag wieder in der Firma bin, wird mir geschildert, wie man einen mit dem Fallschirm gelandeten und gefangengenommenen Amerikaner unter dem Gejohle einer „aufgebrachten Menschenmenge“ von deutschen Soldaten bewacht durch Münstereifel geleitet habe. „War das ein Hass“ sagte eine junge Bürodame, die sich später einmal, nach dem Einmarsch der Amerikaner im Frühjahr 1945, als über alle Maßen amerikafreundlich und in jeder Beziehung verständlich und betreuend den Besatzungssoldaten gegenüber verhalten wird. So ist das eben!

Achsenbruch

Am 10. Juli 1943 landen die Alliierten (Amerikaner und Briten) von Nordafrika aus auf Sizilien. Unsere bisherigen italienischen Waffenbrüder stürzen daraufhin am 25. Juli 1943 frustriert ihren Duce Mussolini und ersetzen ihn durch Marschall Badoglio, der kurzerhand mit den bisherigen Kriegsgegnern einen Waffenstillstand abschließt. Bisher sprach man von der Achse Berlin-Rom, jetzt spricht man von einem Achsenbruch.  Die Deutschen müssen, jetzt auf sich allein gestellt, eine ganze Armee aus Russland abziehen (was den endgültigen Abbruch der letzten deutschen Offensive in Russland, nämlich im Kursker Bogen, zur Folge hat) und mit dieser in Süditalien eine Front gegen die am 3. September 1943 auf Kalabrien ( Stiefelspitze Italiens) und am 9. September, also 6 Tage später, bei Salerno südlich von Neapel gelandeten Alliierten  aufbauen.

Wunschdenken

Da kommt eines Tages der Dorfschullehrer von Schönau bei uns zu Hause vorbei und berichtet , die starken Fliegerverbände der letzten Nacht seien gar nicht von Westen eingeflogen und man dürfe hoffen, dass es sich um deutsche Maschinen auf dem Flug nach England gehandelt habe. Alle sind zunächst gerne bereit, diese ach so tröstliche Botschaft zu glauben, obwohl man sich doch fragen musste, wieso sie nicht mehr zurückgekommen waren. Und dann kommt der abendliche Wehrmachtsbericht mit der Meldung über verheerende Bombardements im Ruhrgebiet. Von deutschen Flugzeugen ist da gar keine Rede. Es dauert noch einige Tage bis wir herausfinden, dass die Flugzeuge abwechselnd entweder aus nordwestlicher oder aus südöstlicher Richtung kommen. Sie fliegen also entweder von England aus über ihre Zielgebiete in Deutschland und landen anschließend in Italien oder umgekehrt. Das verlustreiche Wenden über Deutschland findet jetzt nicht mehr statt.

Mir fällt jetzt ein, dass ich vergessen hatte den Dorfschullehrer zu fragen, ob die von ihm vermuteten deutschen Fliegerverbände von England aus nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt seien.

„Wenn das der Führer wüsste!“

Zum Wunschdenken vieler Deutscher gehört auch das Bemühen, die Lichtgestalt ihres geliebten Führers nur nicht mit all den schmutzigen Vorkommnissen der Besatzungspolitik und Vernichtung unwürdiger Rassen in Verbindung zu bringen. Es sind nach ihrer Meinung die kleinen Hitler, die dies alles in eigener Verantwortung kompetenzüberschreitend anrichten. Und so sagen sie dann immer wieder mit besorgter Miene und kopfschüttelndem Unverständnis: „Wenn das der Führer wüsste!“ Meine Eltern sind von einem ach so unwissenden Führer nicht überzeugt.



Schaffung eines „neuen Menschen“?

Wer will später einmal beurteilen können, welchem seelischen Druck wir seitens der Partei ausgesetzt sind?

 

Nach einer Durchführungsverordnung vom 25. März 1939 werden alle Jugendlichen, sofern sie rassisch geeignet sind, jahrgangsweise geschlossen in die Hitlerjugend aufgenommen. Ziel ist die „Schaffung eines neuen Menschen“, wie Hitler es selbst in einer Rede vor einer unübersehbar großen Zahl in Reih und Glied angetretener uniformierter Jugendlicher hinausgeschrien hat. Die Jugendlichen sollen den alten Erziehungsmächten, einschließlich Elternhaus, entzogen werden. Im neuen Erziehungssystem mit laufenden Lageraufenthalten soll die körperliche Ertüchtigung  Vorrang vor der geistigen Bildung haben. So gestählt oder sagen wir „gezüchtet“, soll der heranwachsende neue deutsche Mensch in der Lage sein, wie im Tierreich, gegenüber den „minderwertigen Rassen“ im Lebenskampf zu bestehen. Dieses „was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan...“ der Bibel soll nicht mehr gelten. Überleben soll der Stärkere, zu Grunde gehen soll der Schwächling. Den Schwachen zu helfen, ist nicht mehr zeitgemäß. Die Bestimmung, welche Rassen als minderwertig zu gelten haben, obliegt der Partei.

Diese Grundhaltung der Partei wird uns Jugendlichen zunächst nicht auf einen Schlag in dieser Härte verabreicht, sondern wohldosiert mit viel Romantik verbrämt. Das ohnehin schon romantische Lagerleben wird mit entsprechenden Liedern angereichert, bei deren Absingen manche Jugendlichen feuchte Augen bekommen, die so etwas wie Gläubigkeit verraten.

Ein paar Beispiele:

 

Deutschland heiliges Wort,

du voll Unendlichkeit.

Über die Zeiten fort

seist du gebenedeit.

Heilig sind deine Seen

heilig dein Wald

und der Kranz deiner stillen Höh`n

bis an das grüne Meer.

 

Weiter:

 

Nun lasst die Fahnen fliegen

in das große Morgenrot

das uns zu neuen Siegen

leuchtet oder brennt zum Tod.

 

und

 

Nichts kann uns rauben

Liebe und Glauben

zu unserm Land,

es zu erhalten

und zu gestalten,

sind wir gesandt.

Mögen wir sterben,

unseren Erben gilt dann die Pflicht:

Es zu erhalten

Und zu gestalten:

Deutschland stirbt nicht.

 

Und dann kommen die auf den Krieg, das sogenannte Völkerringen, abgestimmten Gesänge, wie:

 

Heilig Vaterland, in Gefahren

deine Söhne sich um dich scharen.

Eh der Fremde dir deine Krone raubt,

Deutschland fallen wir

Haupt bei Haupt.

 

In den Schulen ist vor dem Unterrichsbeginn ein markiger Spruch aufzusagen. Beispiel:

 

Erst komme ich, dann die andern Vielen.

Erst kommt Deutschland, dann die Welt.

 

Verflixt noch mal, ich habe diese Lieder jetzt, im Alter von über 80 Jahren auswendig hergesagt. Geht so etwas denn nie mehr aus meinem Kopf? Es entspricht doch nicht meiner Weltanschauung! Wodurch festigt sich eine „Weltanschauung“, was immer das bei einem Heranwachsenden wie mir in diesem Alter mit mangelhaftem Wissen und unfertigen Bildern heißen mag? Da ist zunächst und zu allererst der Einfluß der Eltern, bei Jungen vorrangig der der Mutter. Aber ein Zuviel an Erziehung bewirkt oft das Gegenteil dessen, was man erreichen will und so kann, zum Beispiel, ein Zuviel an Religionserziehung zum Religionsverlust führen. Denn mit den Jahren wächst der Widerspruchsgeist, den ich als bedeutsam und notwendig für die Entwicklung der Menschheit ansehe. Also könnte ich mich getrost den immer stärker werdenden Versuchen der Partei überlassen, uns von den bisherigen Erziehungsmächten, wie Elternhaus, Kirche und internationale Pfadfinder oder sonstige Jugendverbände zu lösen und in ein lebenslanges Erziehungssystem einzubinden, das mit dem Deutschen Jungvolk beginnt und sich über die Hitlerjugend, den Reichsarbeitsdienst und die Deutsche Wehrmacht bis zu den „Kampfverbänden“ von SA und SS erstreckt und uns nie mehr aus den Klauen des Staates entläßt. Denn genau so ist es geplant und von Hitler angekündigt worden. Aber genau dieser lebenslange Zwang mit ewigem Marschieren, Grüßen und Strammstehen stinkt mir und dieser Geruch gefällt mir nicht, er beginnt, mich anzuwidern. Und wenn wir singen müssen:

 

„Nur der Freiheit gehört unser Leben,

laßt die Fahnen dem Wind.

Einer stehe dem andern daneben,

aufgeboten wir sind.

Freiheit ist das Feuer, ist der helle Schein.

Solang es noch lodert, ist die Welt nicht klein.“ ,

 

dann wird’s mir schwindlig bei diesem Freiheitsbegriff. Und diese als Freiheit verkleidete Knechtschaft im lebenslangen Dienst für Volk und Vaterland, gegen eine Welt von Feinden, wie es heißt, erzeugt bei mir einen Widerspruchsgeist gegen dieses Regime und löst den gegen das Vaterhaus gerichteten Widerspruch radikal ab. Das ist meine Lebenserfahrung im Jungenalter. Wenn man so will, werde ich also zum Konservativen regelrecht gedrängt. Ist das so schlimm? Ist konservativ mit reaktionär gleichzusetzen? Ich kann es nicht glauben, zumal ich an eine Zukunft glauben möchte, in der man sein Leben mit Freuden verbringen kann.

Die sich hieraus entwickelnde Grundeinstellung ist nicht typisch für alle Gleichaltrigen. Allzuviele von ihnen sind sehr schnell bereit, den Verlockungen von Lagerromantik und Marschieren mit Fanfaren- und Paukenmusik zu erliegen und die Losungen der Partei nachzubeten. Das sind im Grunde zwei verschiedene Probleme, die nicht zwingend zusammengehören. Man könnte also das eine tun und das andere lassen, wenn man innerlich stark genug dazu wäre. Manche, die vom Elternhaus her stark links geprägt sind, haben eine andere Lebenserfahrung und Einstellung als ich. Wer kann es ihnen verdenken? Sie können die zum Feindbild der Nazis zählende Kirche weiter im Visier behalten, nur, daß diese jetzt aus einer anderen Richtung angeschossen werden darf, und zwar mit noch schärferer Munition als früher. Denn sie scheint ja jetzt nicht mehr der „Polizist des Staates“ zu sein, wie ein früheres Sprichwort besagte. Die Kinder der früher weit links stehenden Eltern sind zudem von den Leistungen der Deutschen Arbeitsfront und den Freizeitaktionenn „Kraft durch Freude“ so begeistert, daß es kaum zu verstehen wäre, wenn sie gegen den nationalen Sozialismus, sich selbst unnütz schädigend, Front machen würden.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die führenden Köpfe des deutschen Kommunismus, meist intellektuell geprägt,  sind die ersten Insassen der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Aber die Masse ihrer Mitläufer ist wandelbar. Wer als einfacher Arbeiter kann im täglichen Leben überhaupt einen gravierenden Unterschied zum internationalen Sozialismus erkennen? Der „Deutsche Arbeiter“ wird in fast allen Führerreden umworben, besonders hervorgehoben und gelobt. In den Erziehungslagern der Partei für uns Jugendliche, an denen ich teilgenommen habe, werden die Kommunisten mittlerweile schon gar nicht mehr als zu bekämpfende innere Volksfeinde erwähnt. (Ziel der Verleumdung ist die uns von unseren Eltern vermittelte Weltanschauung.)

Und was den Freiheitsbegriff anbelangt, mein Gott! Hatte nicht Lenin den Ausspruch getan: „Freiheit.- Wozu?“  Marschiert also feste mit, ich kann es euch nicht verdenken! Denn es heißt auf Plakaten und Fensteraufklebern in öffentlichen Bahnen und Bussen: Wir sind der Sozialismus der Tat. 

Der Leiter der Dreherei in der Münstereifeler Maschinenfabrik, in der ich meine Technische Zeichnerlehre absolviere, formuliert folgenden Satz: „Meine früheren Kommunisten sind jetzt meine besten Nationalsozialisten.“ Es kann ja sein, dass ich nur einen kleinen Teil der Wahrheit kenne. Aber es ist ja auch nur meine höchst persönliche Erfahrung, die ich als Bürde mit mir herumschleppe und hier zur Sprache bringe. Bin ich vielleicht zu konservativ oder gar reaktionär?

 

Ich scheine ja zwischen allen Stühlen zu sitzen. Dagegen muss ich aber schnellstens etwas unternehmen! Aber was?

 

 



Verformungen (das Gedicht stammt aber von mir)

 



So formt man unsre jungen Seelen,

mit Liedern, die für Hitler werben,

mit Büchern, die vom Kampf erzählen

und vom heldenhaften Sterben.

 

Dem Elternhaus bewusst entrissen,

um "Volksgemeinschaft" nah zu spüren.

Ins Lagerleben reingeschmissen,

um alte Bindung zu verlieren.

 

Fahnenappelle und Fanfaren,

Trommelwirbel und Marschieren:

Man will uns mit 'nem Zuchtgebaren,

gezielt zum Herrenmensch trainieren.

 

Dazu absonderlich' Parolen

und Quatsch von minderwert'gen Rassen,

von Land, das wir im Osten holen,

uns dort für immer niederlassen.

 

Ich kann das Ganze nicht verdauen.

Der Führer hat uns hübsch verführt.

Statt blindlings um uns 'rum zu hauen,

hätt' Fried' zu Hause uns gebührt.

 

Den Fähnleinführer mim' ich nimmer,

denn sonntags hab' ich andre Pläne;

den Posten geb' ich ab für immer:

Private Freiheit ich ersehne.

 

Mein' Sehnsucht in die Luft zu steigen

hat nichts zu tun mit Fahnendrill.

Ich mach' mir Segelflug zu eigen,

nicht weil der Staat, weil ich es will.

 

So lern' ich trefflich abzubiegen

den Staat, der nur Gehorsam preist.

Ein Lager jährlich, nur fürs Fliegen,

als unpolitisch sich erweist.

Sag ja nicht zuviel!

Unser kleines Dorf ist voller Geschwätzigkeit. Das summt und brummt wie in einem geschäftigen Bienenstock. Wir Kinder versuchen, unsere Mitteilsamkeit auf dem Schulhof loszuwerden. Vater sagt, ich solle bloß nicht zu viel über die zu Hause geführten politischen Gespräche berichten, weil das den regimetreuen Familien zu Ohren kommen könne und dann von diesen mit Sicherheit  dem Ortsgruppenleiter der Partei weiterberichtet würde.

Die Erwachsenen schwätzen meist auf der Dorfstraße, in der Schmiede und in den beiden Geschäften. Aber die wissen schon eher als wir Schulkinder, bei welchen Dorfbewohnern Stillschweigen angesagt ist. Und da gibt es noch die schlitzohrigen Witzerzähler, die sich meist gekonnt an der Grenze von Erlaubtem und Unerlaubtem entlang jonglieren. Manchmal wagen sie sich auch etwas mehr vor und gehen dabei bewusst auf die bekannten Parteileute zu, so wie jetzt ( ich bekomme es mit, weil ich mich wie ein völlig uninteressierter Halbwüchsiger benehme und daher von den beiden Erwachsenen nicht beachtet werde):

Schäng zum Ortsgruppenleiter: „Jetzt darf man schon keinen mehr fliegen lassen.“ *)

Ortsgruppenleiter Jupp: „Wat soll der Quatsch? “

Schäng: „Dann hör mal gut zu! Am 10. Mai 1941 ist doch der Stellvertreter des Führers, Rudolf Hess, ohne Hitlers Wissen mit einem Fernjäger vom Typ Messerschmitt Me 110 von Augsburg aus nach Glasgow in Schottland geflogen und dort mit dem Fallschirm abgesprungen, um mit den Briten über einen separaten Frieden zu verhandeln. Weil der Flugplatzkommandant von Augsburg den Hess fliegen ließ, wurde er neulich verhaftet. Wat sagste jetzt? .Lass in Zukunft bloß keinen mehr fliegen!“ Der Ortsgruppenleiter ist erbost und untersagt dem Schäng, den Witz weiterzuerzählen. Er sucht anschließend seine Blockleiter oder Blockwarts des Dorfes auf, um ihnen ein härteres Durchgreifen gegenüber den allseits bekannten Witzerzählern  aufzutragen.

In den Städten sind den Blockwarten noch mehrere Hauswarte als Zuträger unterstellt. Diese haben etwa 15 Haushalte zu beaufsichtigen und in diese hineinzuhorchen, um parteifeindliche Entwicklungen im Keime zu ersticken. In den kleinen Dörfern bleibt diese undankbare Aufgabe beim Blockwart oder sogar beim Ortsgruppenleiter hängen.

Der Schäng ist als gerissenes Schlitzohr gewillt, dem Ortsgruppenleiter, den er für leicht begriffsstutzig hält, zur gegebenen Zeit noch eins draufzusetzen. Als er kurz vor dem Jahresende den Jupp wieder auf der Dorfstraße trifft, sagt er:

„ Sag ens Jupp, hast du schon gehört, dass man demnächst nicht mehr mit Heil Hitler grüßen wird?“ Der Jupp ist über alle Maßen entrüstet und brüllt regelrecht los: „Ja, wie soll dann nach deiner Meinung demnächst gegrüßt werden?“

Schäng: „Mit Prosit Neujahr.“

Nach Vaters Meinung sind die Ortsgruppen, die mit der Deutschen Arbeitsfront, der NS-Frauenschaft und der NSV einschließlich Winterhilfswerk, zusammenarbeiteten,  ein wirksames Instrument für die Partei zur Stärkung des Durchhaltewillens der Bevölkerung jetzt im Krieg. Zur Stabilisierung der Volksgemeinschaft trage vor allem die Verknüpfung von lückenloser Erfassung der Bevölkerung und humanitärer Tätigkeit, wie Sicherstellung der Wohnraum- und Lebensmittelversorgung, bei. Die Berichte der Ortsgruppenleiter werden laufend über die Kreisleiter an den Gauleiter weitergegeben. Dieser kann sich zu jeder Zeit ein Bild von der öffentlichen Meinung machen. Es ist ein totales Überwachungssystem, das dafür sorgt, dass sich keiner mehr gefahrlos den Anordnungen des Staates widersetzen kann. Unserem Gauleiter untersteht der Gau Köln-Aachen, auch Gau Mittelrhein genannt. Er hat ständigen Kontakt zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo), deren plötzliches Klopfen an die Wohnungstür von den Regimegegnern mit Recht gefürchtet wird. Aber ehrlich gesagt, in unserem überschaubaren Dorf sehen die Parteileute von einem zu ruppigen Vorgehen ab, weil sie sonst aus der Dorfgemeinschaft brutal ausgeschlossen und völlig isoliert würden.

Robert Ley sagt zum Thema Überwachungssystem, das er maßgeblich mitgeschaffen hat: „Privatleute kennen wir nicht mehr“. Wenn er spricht, lässt seine raue Stimme erkennen, dass er Alkoholiker ist. Aber das tut der Gefährlichkeit seiner Worte keinen Abbruch. Als seine Heimat gilt Waldbröl im Oberbergischen Kreis, auch spöttisch Leyland genannt. Diese Gegend gilt in einem eng begrenzten Bereich als besonders nazifreundlich, weil sich hier schon vor 1933 eine starke nationalprotestantische Richtung von der Evangelischen Kirche abgespalten und mit antisemitischer Ausprägung entwickelt hatte. Robert Ley lässt als NS-Reichsorganisationsleiter zurzeit gigantische Pläne für einen Ausbau von Waldbröl zu einer Großstadt von 300 000 Einwohnern und dem Bau von Volkstraktoren-werken ausarbeiten. Ich glaube, man nennt so was ein Wolkenkuckucksheim planen. Ob der Glaube an den sogenannten Endsieg genauso unwahrscheinlich ist wie das Entstehen einer Großstadt Waldbröl? Diese Frage werde ich tunlichst keinem einzigen Mitschüler stellen.



Robert Ley, Leiter der Deutschen  Arbeitsfront und Reichs-Organisationsleiter    

Marschieren ist eine deutsche Volkskrankheit

Und woran erkenne ich die linientreuen Dorfbewohner? Nun, sonntags gehen sie stets in Uniform durchs Dorf, mit einem eingeübten Schritt, der sie mir wie eine Einmann- Marschkolonne erscheinen lässt. Und selbst im Werktagszivil gehen sie ebenso militärisch. Ja, wir sind ein Volk von Marschierern geworden. Da las ich eine Geschichte aus dem (Ersten) Weltkrieg: Zwei deutschen Kriegsgefangenen ist mit Zivilkleidung die Flucht aus einem französischen Gefangenenlager geglückt und sie befinden sich mittlerweile schon in der Nähe der deutschen Linien, als sie von einer Polizeipatrouille aufgegriffen werden. Die Deutschen, die inzwischen etwas französisch gelernt hatten, fragen einen Polizisten: „Wieso habt ihr uns als Deutsche erkannt?“ und der Polizist antwortet: „Weil ihr im Gleichschritt marschiert seid.“ Marschieren ist eine deutsche Volkskrankheit geworden. Übrigens ist der Gleichschritt eine Erfindung des Alten Dessauers. Dieser preußische General war erwiesenermaßen schlecht in Rechtschreibung. Als er einem ausgedienten Offizier ein Zeugnis mit den Worten überreichte: „So, da hat Er ein gutes Zeugnis!“ wurde dieser kreidebleich. „Aber was hat Er denn? Ich habe doch geschrieben Er war ein fähiger Offizier.“ Dies las sich im fehlerhaften Deutsch so: „Er war ein fe iger Offizier.“ Verstanden?



Und was kommt nun?

Noch in diesem Herbst des Jahres 1943 muss ich in ein Wehrertüchtigungslager in Bastogne in den belgischen Ardennen.

Freiheit?